Das Haushaltsloch der Bundesregierung und die damit einhergehende Unsicherheit trübt den Gesamteindruck. Doch grundsätzlich zeigt sich auf dem Energiemarkt im Winter 2023/24 ein deutlich positiveres Bild als noch vor einem Jahr. Mittelständische Unternehmen profitieren von kräftig gesunkenen Preisen – insbesondere beim Strom – und einer deutlich stabileren Versorgungslage. Stadtwerke-Vertriebsleiter Florian Doktorczyk blickt auf die aktuelle Marktlage, beleuchtet neue Beschaffungsmodelle für Geschäftskunden und beschreibt künftige Entwicklungen, die für mittelständische Unternehmen wichtig werden.
Herr Doktorczyk, vor einem Jahr hatte die Energiekrise Europa fest im Griff. Deutschlands Unternehmen waren mit Strom- und Gaspreisen in nie gekannten Höhen konfrontiert, gleichzeitig war die Lage der Gasversorgung alles andere als sicher. Inzwischen sieht die Situation deutlich besser aus. Oder?
Im Vergleich zum Vorjahr erleben wir aktuell eine grundsätzlich veränderte Situation. Das macht ein kurzer Blick zurück mehr als deutlich. Nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine hatten die Märkte extrem volatil reagiert – mit Höchstpreisen, die unsere Kundinnen und Kunden natürlich sehr unter Druck setzten. Wichtig war uns in dieser Zeit, sie laufend über die weitere Entwicklung zu informieren und entsprechend auf die Lage vorzubereiten. Nachdem Preisbremsen und andere gesetzliche Vorhaben, wie die Erlösabschöpfung, vor fast genau einem Jahr in Kraft traten, kehrte ein Stück weit Ruhe in die Märkte zurück – eine Entwicklung, die sich übers Jahr immer mehr festigte und weiter fortsetzte. Speziell auf dem Spotmarkt haben sich die Preise beim Strom in den vergangenen Monaten auf einem sehr niedrigen Niveau eingependelt. Auch auf den Terminmärkten sanken die Preise – allerdings verharren sie auf weit höherem Niveau als vor der Krise.
Was bedeutet das konkret für Ihre Kundinnen und Kunden?
Speziell beim Strom haben sich die Kosten für mittelständische Unternehmen wieder stabilisiert. Durch den Wegfall der EEG-Umlage – die immerhin zuletzt rund sechs Cent je Kilowattstunde ausmachte – liegt der Strompreis in etwa wieder auf dem Niveau von 2021. Das gibt unseren Kundinnen und Kunden nach den Krisenzeiten ein Stück weit Planungssicherheit zurück. Denn die Stadtwerke Würzburg haben die Chancen auf den Beschaffungsmärkten 2023 selbstverständlich genutzt und neue Produkte im Portfolio, mit denen Unternehmen ihre Energiekosten wieder langfristig kalkulieren können. Dies kommt sehr gut an.
Vor einem Jahr war das noch anders – wegen des hochvolatilen Markts boten Sie keine langfristigen Lieferverträge an.
Richtig. Denn wir möchten unseren Kundinnen und Kunden möglichst niedrige Energiepreise mit einer hohen Planbarkeit bieten. Das war 2022 auf dem Höhepunkt der Energiekrise unmöglich. Doch die positive Entwicklung auf den Beschaffungsmärkten in diesem Jahr lässt ein breiteres Produktportfolio durchaus wieder zu. Neben klassischen Spotmarktverträgen haben wir neu eine Mischung aus Spot- und Terminmarktverträgen im Angebot. Dabei beschaffen wir Teilmengen über den Terminmarkt und nutzen gleichzeitig die in diesem Jahr besonders guten Chancen des kurzfristigen Handels.
Unsere Kundinnen und Kunden profitieren davon, dass wir mit unserer eigenen Handelsabteilung Zugang zu allen Märkten haben, sehr flexibel auf sich ändernde Marktsituation reagieren und damit zu guten Konditionen Energie einkaufen können.
Beim Strom hat sich die Beschaffungssituation für Geschäftskunden aktuell deutlich entspannt. Gilt das auch für Gas?
Vom Grundsatz her passt die Aussage auch für den Gaseinkauf – allerdings haben sich die Preise auf den Märkten auf einem etwa zweieinhalbfach höheren Niveau als vor der Krise stabilisiert. Dazu kommt, dass beim Gas keine dauerhafte Entlastung bei den Abgaben und Umlagen ansteht. Im Gegenteil. Die staatlich indizierten Preisanteile werden ab kommendem Jahr weitersteigen. Dabei fällt weniger die Rückkehr der Mehrwertsteuer von sieben auf 19 Prozent spätestens zum April 2024 ins Gewicht – die meisten Betriebe reichen sie ohnehin nur weiter –, sondern der kräftig steigende CO2-Preis, der die Verbrennung fossiler Energien Jahr für Jahr teurer macht. Zu Recht. Denn Gas emittiert nun einmal klimaschädliches CO2. Deshalb befürworte ich grundsätzlich das Instrument, das preisliche Anreize schafft, in technische Lösungen zu investieren, die Gas mehr und mehr ersetzen. Zahlreiche unserer Geschäftskunden haben sich längst auf dem Weg gemacht, effizienter zu werden sowie außerdem Gas mehr und mehr aus den Produktionsprozessen zu verdrängen. Das erfahren wir in den vielen Gesprächen, die wir führen, und merken es auch in den Prognosen für die Beschaffung. Beim Umstieg auf erneuerbare Energien spielen nicht nur die Kosten und der Klimaschutz eine entscheidende Rolle. Viele Unternehmen möchten auch aufgrund der Erfahrungen in der Krise ihre Energieträger diversifizieren, um sicherer und weniger abhängig von der Gasversorgung zu sein.
Apropos sichere Gasversorgung. Könnte Ihrer Meinung nach ein kalter, langer Winter erneut auf die Preise durchschlagen?
Ein paar Restrisiken gibt es immer. Doch die Bundesnetzagentur schätzt die Situation für die Gasversorgung in diesem Winter viel optimistischer ein als vor einem Jahr. Die Speicher sind gut gefüllt, und auch sonst ist die Lage anders als im vorigen Krisenwinter. Das schafft erst einmal Sicherheit im System. Bislang gibt es auch keine Indizien dafür, dass der Markt hektisch auf kalte Temperaturen reagiert. Das konnten wir in den vergangenen Wochen beobachten. Märkte werden immer dann sehr volatil, wenn Unvorhergesehenes passiert. Der zögerlich einsetzende Winter in diesem Jahr – auch mit den zuletzt kälteren Temperaturen – gehört nicht dazu. Zu den Risiken zählen sicherlich eine Witterung mit sehr extremen Temperaturen über einen längeren Zeitraum oder neue geopolitische Konflikte. Ich hoffe sehr, dass wir davon verschont bleiben. Die Märkte sehen solche Entwicklungen aktuell eher weniger, sonst würde es dort bereits erste Anzeichen geben. Die Preise bewegen sich Anfang Dezember fast auf dem Tiefststand. Deshalb blicke ich optimistisch in die nahe Zukunft, was den Gasmarkt angeht.
Das klingt zuversichtlich. Dennoch sorgt das Milliardenloch im Bundeshaushalt aktuell für neue Unsicherheit. Spüren Sie das in den Geschäftsbeziehungen?
Leider erleben wir aktuell tatsächlich eine neue Phase der Verunsicherung durch die aktuelle politische Lage. Das 60-Milliarden-Euro-Loch im Haushalt 2024 stellt die Planbarkeit und Zuverlässigkeit des Gesamtsystems wieder infrage – dies wirkt sich natürlich auch auf uns, unsere Kundinnen und Kunden sowie weitere Player der Energiewirtschaft aus. Denn wir müssen kurzfristig auf das vorzeitige Auslaufen der Preisbremsen reagieren und die Rückkehr zur vollen Mehrwertsteuer beim Gas und bei der Fernwärme auf 19 Prozent umsetzen, obwohl das Datum weiter unbekannt ist. Außerdem fehlen den Übertragungsnetzen aktuell zugesagte Mittel, um die Netzentgelte zu stabilisieren. Dies kann zu steigenden Kosten auf allen Ebenen führen. Es ist schwierig, mit solchen Unsicherheiten im Markt umzugehen. Das gilt gleichermaßen für uns und unsere Kundinnen und Kunden. Denn für die Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben brauchen wir Zeit, Kapazitäten und Dienstleister – etwa für die Abrechnungsprozesse. Die fehlende Planbarkeit ist das Schlimmste, was passieren kann, gerade weil wir als Energieversorger – aber natürlich auch unsere Kundinnen und Kunden – Investitionen in die Transformation der Energiewelt auslösen müssen.
Apropos Transformation der Energiewelt. Wenn Gas irgendwann keine Rolle mehr bei der Beschaffung spielt – was kommt dann alternativ?
Unsere Kundinnen und Kunden fragen verstärkt Biomethan bei uns an. Das ist ganz sicher auch für uns in der Beschaffung ein spannendes Produkt, zumindest für eine Übergangszeit, eventuell aber auch langfristig. Für unsere Kundinnen und Kunden könnte Biomethan in einigen Jahren eine Lösung sein, um insbesondere Spitzenverbräuche mit „Grünem Gas“ abzudecken. Wir arbeiten zurzeit mit Hochdruck daran, ihnen den Zugang zu Biomethan zu ermöglichen.
Gibt es weitere Trends für die Zukunft?
In Zukunft wird ganz sicher der Zeitpunkt des Verbrauchs bei der Beschaffung eine entscheidende Rolle spielen. Denn die Preise schwanken über den Tag erheblich. Bei großen Verbrauchern lässt sich viel Sparpotenzial heben, wenn sie ihre Prozesse an diesen Markt anpassen. Auf der Erzeugungsseite passiert das längst schon. Größere Ökostromanlagen – etwa im Bereich Photovoltaik oder Windkraft – passen ihre Erzeugungskapazitäten an diese Stundenpreise an, um bessere Erlöse bei der Direktvermarktung zu erzielen.
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