Die Bundesregierung arbeitet mit Hochdruck daran, eine Gasmangellage und die Ausrufung der Notfallstufe abzuwenden. Alternative Beschaffungswege und Gaseinsparungen durch Unternehmen, Kommunen und Privathaushalte sollen zu einer Entspannung der aktuellen Situation beitragen. Trotz allem bereitet sich die Bundesnetzagentur darauf vor, dass es im Winter zu einer Gasmangellage und zu damit einhergehenden Rationierungen von Gas kommen kann. WVV Energie Plus beantwortet Fragen zum Ernstfall.
Welche Voraussetzungen müssen eintreffen, damit eine Gasmangellage ausgerufen wird?
Der Notfallplan Gas der Bundesregierung kennt drei Eskalationsstufen: Frühwarn-, Alarm- und Notfallstufe. Am 23. Juni 2022 hatte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) wegen der Lieferunterbrechungen über Nordstream 1 die Alarmstufe ausgerufen. Das bedeutet: Gashändler und -lieferanten sowie Fernleitungs- und Verteilnetzbetreiber sind verpflichtet, noch in Eigenregie und in Absprache mit dem Krisenstab des BMWK Maßnahmen zur Beherrschung beziehungsweise Verbesserung der Versorgungslage zu ergreifen. So nutzen sie alternative Beschaffungswege, Gasspeicher, die Optimierung von Lastflüssen oder Regelenergie aus dem Ausland. Aktuell wird zum Beispiel vermehrt Erdgas aus Norwegen, den Niederlanden sowie Flüssiggas (LNG) aus Nordamerika, Australien und Katar via Großtanker besorgt. Die Bemühungen zeigen Wirkung: Die Erdgasspeicher sind gut gefüllt. So liegt der Speicherstand laut des Lageberichts der Netzagentur vom 27. September bei 91,32 Prozent.
Erst wenn all diese Maßnahmen nicht ausreichen sollten und es zu einer dauerhaften Verschlechterung der Versorgungsituation kommt, der sogenannten Gasmangellage, kann die Bundesregierung per Verordnung die Notfallstufe einleiten.
Was passiert bei Ausrufung der Notfallstufe beziehungsweise bei einer Gasmangellage?
Bei einer Gasmangellage greift der Staat mittels Bundesnetzagentur (BNetzA) aktiv in den Markt ein. Der BNetzA kommt dann die Aufgabe des „Bundeslastverteilers“ zu mit weitreichenden Befugnissen. So kann beispielsweise angeordnet werden, mehr Gas auszuspeichern, Erdgas durch Erdöl zu ersetzen oder dass Verbraucher auf Strom umstellen, der ohne Gas erzeugt wird. Zudem regelt die BNetzA die Verteilung von Gas und kann anordnen, dass Unternehmen ihren Gaskonsum reduzieren. Im Extremfall dürfen Gaslieferungen temporär stark gedrosselt oder gar vorübergehend ausgesetzt werden. Bestimmte Verbrauchergruppen sind allerdings gesetzlich besonders geschützt.
Wer zählt zu den geschützten Kunden?
Einige Kunden bekommen bei einer ausgerufenen Mangellage priorisiert Gas. Laut Paragraf 53a des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) sowie des Notfallplans Gas gelten folgende Gruppen als geschützt:
- Neben privaten Haushalten zählen auch Kleingewerbe- und landwirtschaftliche Betriebe, Supermärkte, kleinere Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen und Altenheime zu den geschützten Kunden. Es handelt sich dabei um sogenannte Standardlastprofil-Kunden (SLP-Kunden) mit einer Anschlussleistung von maximal 50 Kilowatt oder einem Jahresverbrauch von maximal 1,5 Millionen Kilowattstunden.
- Auch Fernwärmeanlagen sind geschützt, wenn sie Wärme an Haushaltskunden liefern, an ein Erdgasverteil- oder Fernleitungsnetz angeschlossen sind und keinen Brennstoffwechsel vornehmen können. Allerdings ist lediglich der Gasanteil geschützt, der für die Wärmelieferung benötigt wird.
- Priorisiert beliefert werden zudem soziale Dienste. Dazu zählen Krankenhäuser, Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen, stationäre Pflegeeinrichtungen, stationäre Hospize, Einrichtungen zur Pflege und Betreuung behinderter Menschen, aber auch Justizvollzugsanstalten, Feuerwehr-, Polizei- und Bundeswehreinrichtungen.
Wie groß ist der Anteil geschützter Kunden?
14,6 Millionen vertraglich belieferte Gasanschlüsse von Letztverbrauchern gibt es in Deutschland laut des Monitoringberichts 2021 der Bundesnetzagentur. Etwa die Hälfte des Gasverbrauchs entfiel somit auf geschützte Kunden.
Kann man beantragen, ein geschützter Kunde zu werden?
Ein klares Nein: Nach Paragraf 53a des Energiewirtschaftsgesetztes (EnWG) ist gesetzlich abschließend geregelt, wer zu den geschützten Kunden zählt. Nur der Gesetzgeber könnte Änderungen am entsprechenden Paragrafen vornehmen. Unternehmen können sich also nicht als „geschützte Kunden“ registrieren lassen.
Nach welchen Kriterien entscheidet die Bundesnetzagentur in der Notfallsituation über die Gaszuteilung?
Es gibt keine festgelegte Abschaltreihenfolge nicht geschützter Kunden, sondern situationsbedingte Einzelfallentscheidungen. Die Entscheidungen trifft die BNetzA auf Grundlage der in der sogenannten Sicherheitsplattform Gas gesammelten Daten über alle relevanten Gasverbraucher, insbesondere über die großen Industriebetriebe. Dabei sollen die gesamtwirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Auswirkungen so gering wie möglich gehalten werden. Ziel ist es, den lebenswichtigen Bedarf an Gas zu sichern. Sowohl geschützte als auch ungeschützte Kunden können lebenswichtigen Bedarf (siehe Grafik auf Seite 3: haben.
Die Aufrechterhaltung der Systemsicherheit des Gasnetzes hat dabei immer Vorrang. So kann es aus netztechnischen Gründen nicht möglich sein, bestimmte zulässige Drosselungen oder Abschaltungen vorzunehmen. Dem jeweiligen Netzbetreiber obliegt weiterhin die Systemverantwortung. Er darf nach Paragraf 16 des Energiewirtschaftsgesetztes bei Bedarf eingreifen, muss dies aber begründen und ausreichend dokumentieren.
Wie wird eine mögliche Gasrationierung ablaufen?
Momentan erarbeitet die BNetzA ein Vorwarnsystem, um sicher zu stellen, dass die 2.500 registrieren größten Gasverbraucher Zeit haben, ihre gasabhängige Produktion geordnet herunterzufahren. Die Vorlaufzeit könne jedoch je nach Lage recht kurz ausfallen, betont die BNetzA.
Tritt die Gasmangellage ein, wird die BNetzA zunächst veranlassen, dass die Gaslieferung pauschal für alle 40.000 „ungeschützten“ Kunden um einen gewissen Prozentsatz gekürzt werden. Damit soll der leichtere Teil der Einsparpotenziale mobilisiert werden. Das könnte je nach Szenarium auch regional unterschiedlich ausfallen.
Erst wenn diese Maßnahme nicht reicht, die Lage zu entspannen, kämen Individualverfügungen gegenüber den Großverbrauchern zum Zuge.
[1] https://www.bdew.de/media/documents/awh_20220413_EnWG_final.pdf, Seite 12 [2]https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Mediathek/Monitoringberichte/Monitoringbericht_Energie2021.pdf?__blob=publicationFile&v=6, Seite 342