Über Wochen lautete die Nachricht: Die Gasspeicher sind gut gefüllt und die Gasversorgung in Deutschland ist aktuell gesichert. Anfang November verzeichnete die Bundesnetzagentur nun erstmals wieder ein leichtes Ausspeichern. Was bedeutet das für den Winter? Die WVV gibt Antworten auf die drängendsten Fragen rund um Erdgas.
Zunächst die gute Nachricht: Die Gasspeicher in Deutschland sind immer noch fast komplett gefüllt. Bis auf zwei haben am Stichtag 1. November alle Gasspeicher in Deutschland den gesetzlich vorgeschriebenen Füllstand von mindestens 95 Prozent erreicht. Dies ging aus vorläufigen Daten des europäischen Gasspeicherverbandes GIE hervor. Kürzlich meldete der Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller allerdings erstmals wieder ein leichtes Ausspeichern: Am 3. November ging die gespeicherte Gasmenge um 0,03 Prozent auf insgesamt 99,26 Prozent zurück. Zunächst kein Grund zur Sorge, mit dem bevorstehenden Winter allerdings auch kein Anlass zu einer vollständigen Entwarnung. Florian Doktorczyk, Vertriebsleiter bei der WVV Energie, beschreibt die aktuelle Lage folgendermaßen: „Im Moment ist die Gasversorgung in Deutschland stabil, damit ist derzeit auch die Versorgungssicherheit gewährleistet. Das sind gute Nachrichten für Versorger und Gaskunden.“
Wie lange hält das Gas?
Dennoch bleibt die Situation weiter angespannt. Auf der einen Seite sind die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine auf die Gasversorgung immer noch spürbar. Die Lieferungen aus Russland haben deutlich abgenommen. Doch für eine sichere Versorgung über den anstehenden Winter ist vor allem die Witterung entscheidend. „Laut Bundesnetzagentur reichen die Füllstände in den Speichern aktuell für neun bis zehn Wochen. Immer vorausgesetzt, dass uns eine ähnlich milde Saison bevorsteht, wie in den vergangenen Jahren“, erklärt Florian Doktorczyk. Mit einer kalten Wetterlage kann sich das ändern. „Sollte es wider Erwarten sehr kalt werden, wirkt sich das natürlich auch auf die Speicherfüllstände aus. Erfahrungen zeigen, dass wenige frostige Tage reichen, damit der Gasverbrauch stark ansteigt“, weiß der Energieexperte. Genau hier kommt das eingespeicherte Gas ins Spiel. Denn dieses dient in erster Linie dazu, eine höhere Nachfrage abzufangen, die nicht mit den aktuellen Gasimporten gedeckt werden kann. Ein Rechenbeispiel: Zurzeit liegt die Speichermenge bei rund 243 Terawattstunden (TWh). Bei einer Differenz zwischen Import und Verbrauch von rund drei TWh am Tag würde der aktuelle Füllstand für etwa 80 Tage reichen.
Darum ist Energiesparen weiter wichtig
Doch auch wenn die vollen Gasspeicher für ein komfortables Sicherheitsnetz sorgen, ist es gerade jetzt wichtiger denn je, sparsam mit der wertvollen Ressource Gas umzugehen. Besonders um im Zweifelsfall auch komplett ohne Importe aus Russland auszukommen. Laut einer aktuellen Studie muss Deutschland bei einem Komplettausfall russischer Gaslieferungen seinen Gasverbrauch bis zum Ende der Heizperiode im April 2023 um etwa 25 Prozent reduzieren, um eine Mangellage zu vermeiden – auch wenn wie geplant Flüssiggasterminals an der Küste in Betrieb gehen. Umgerechnet entspricht das etwa 220 TWh. „Das bedeutet, es ist absolut entscheidend, dass das von der Bundesregierung vorgegebene Sparziel von mindestens 20 Prozent erreicht wird. Nur dann gewinnen wir einiges an Sicherheit“, betont Florian Doktorczyk und ergänzt: „Energiesparen ist und bleibt in diesem Winter das oberste Gebot. Und zwar für jede Verbrauchergruppe. Dessen müssen wir uns alle immer bewusst sein.“ Darum gilt trotz scheinbarer Entspannung am Markt auch weiterhin die Alarmstufe des Notfallplans Gas. Was dieser genau vorsieht, lesen Sie im passenden Magazinartikel.
„Es ist absolut entscheidend, dass das von der Bundesregierung vorgegebene Sparziel von mindestens 20 Prozent erreicht wird. Nur dann gewinnen wir einiges an Sicherheit.“
Florian Doktorczyk, Vertriebsleiter bei der WVV Energie.
So könnte sich die Lage 2023 entwickeln
Ein Blick ins kommende Jahr zeigt weitere Herausforderungen. Denn nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur (IEA) könnten Europa im Sommer 2023 massive Engpässe bei der Speicherung von Gas für den darauffolgenden Winter bevorstehen. Sollten Lieferungen aus Russland ausbleiben, könnten bis zu 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas fehlen, um die Gasspeicher für die nächste Heizperiode wieder aufzufüllen. Selbst bei einer vollständigen Auslastung der ersten drei geplanten schwimmenden LNG-Terminals ließe sich voraussichtlich nur rund ein Viertel der russischen Lieferungen nach Deutschland aus den vergangenen Jahren ersetzen.
Damit die Gasversorgung in Deutschland auch in Zukunft sicher bleibt, ist es somit entscheidend, dass die Bundesregierung unverzüglich Maßnahmen ergreift, um die Verbesserung der Energieeffizienz zu beschleunigen, den Einsatz von erneuerbaren Energien und Wärmepumpen voranzutreiben und so langfristig die Gasnachfrage zu senken. Dazu gehören aktuell auch der Ausbau und die Modernisierung des Speichersystems für Erdgas. Es dient nicht nur als Brückentechnologie auf dem Weg in eine nachhaltige Energiezukunft. Perspektivisch können und sollen die Speicher auch für alternative Energieträger wie etwa grünen Wasserstoff ertüchtigt werden.
In diesem Beitrag auf dem WVV Magazin finden Sie Antworten auf Fragen rund um die Gasversorgung in Deutschland.
Gut zu wissen: Der Lagebericht der Bundesnetzagentur gibt eine tagesaktuelle Einschätzung zur Gasversorgung mit Daten zu Lastflüssen, Speicherfüllständen, Gasverbrauch und Preisentwicklung.