Die WVV feiert in diesem Jahr ihr 60-jähriges Bestehen. Rund die Hälfte dieser Zeit hat Armin Lewetz miterlebt und mitgestaltet – zunächst als junger Ingenieur im Heizkraftwerk, inzwischen als Geschäftsführer der WVV und als Vorstand der Stadtwerke Würzburg. Im Interview erklärt er, warum die Energiezukunft in Würzburg im Wesentlichen mit der Wärmewende zusammenhängt, wo Würzburg heute in Sachen Energieversorgung steht und wohin die Reise künftig geht.


60 Jahre WVV – der runde Geburtstag fällt in eine Zeit, in der Energieversorger nicht viel zu feiern haben. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?
Armin Lewetz: Zugegeben – derzeit müssen wir uns zahlreichen Herausforderungen stellen. Aber trotz der nicht gerade rosigen Rahmenbedingungen auf nationaler und geopolitischer Ebene sehe ich speziell hier in Würzburg viel Positives. Und damit auch reichlich Gründe zum Feiern.
Was genau meinen Sie damit? Von welchen Vorteilen profitiert Würzburg in Sachen Energieerzeugung?
Aus Energiesicht betrachtet steht Würzburg deutlich besser da als die meisten vergleichbaren deutschen Städte. Konkret spiele ich auf die Tatsache an, dass die Wärmewende hier bei uns schon sehr weit fortgeschritten ist – und damit die Energiewende. Dank einer sehr weitsichtigen Entscheidung vor mehr als 70 Jahren gibt es in Würzburg Fernwärme. Und genau davon profitieren wir heute. Denn auf dieser wirtschaftlichen Form der Wärmeerzeugung und -verteilung baut alles auf, was wir in Zukunft brauchen.
Aber Wärme ist doch nicht alles. Die meisten Fachleute sind sich einig, dass der Strombedarf massiv steigen wird …
Das ist richtig. Aber kein Widerspruch. Unser Fokus liegt klar auf der Wärmewende. Sie ist der entscheidende Hebel für die Energiewende insgesamt. In einem typischen Haushalt entfallen rund 80 Prozent des Energiebedarfs auf die Heizung und die Warmwasserbereitung. Dort anzusetzen, lohnt sich also richtig. Zudem findet der Umbau der Wärmeversorgung lokal, direkt hier in Würzburg statt. Was dazu führt, dass wir auf diesem Sektor viel mehr gefragt sind als beim Ausbau der regenerativen Stromproduktion, um die sich Akteure kümmern, die sich darauf spezialisiert haben. Davon abgesehen hängen Fernwärme und Strom hier in Würzburg schon seit jeher eng zusammen. Denn unsere Vorgänger setzten von Anfang an auf Kraft-Wärme-Kopplung. Also auf Anlagen, die Wärme und Strom in einem Prozess erzeugen. Das ist deutlich effizienter als der getrennte Betrieb von Heizkesseln und Kraftwerken. Darüber hinaus gibt es noch ein weiteres gutes Argument: Ein Ausbau der Fernwärme senkt den künftigen Strombedarf beim Kunden.
Inwiefern? Wo ist da der Zusammenhang zwischen Wärme- und Stromerzeugung?
Für die gesetzlich geforderte Dekarbonisierung des Wärmesektors gibt es aktuell nur eine echte Alternative zur Fernwärme: Weil schlicht nicht genug CO2-neutrale Brennstoffe verfügbar sind, um damit Tausende Heizungen zu betreiben, bleiben nur viele einzelne Wärmepumpen. Und die brauchen elektrische Energie. Folglich spart jede, die nicht ans Netz geht, Strom für andere Anwendungen. Und dann ist da noch ein weiteres, spannendes Detail, das für Fernwärme spricht: In zahlreichen Betrieben entsteht jede Menge Abwärme. Die verpufft aktuell weitgehend. Um sie zu nutzen, braucht es ein Wärmenetz. Nicht zuletzt können die vielen Tausend Kubikmeter Wasser, die in den kilometerlangen Rohren zirkulieren, neben stationären Wärmespeichern auch als riesiger Energiespeicher fungieren. Theoretisch lässt sich hier überschüssiger Solar- oder Windstrom in Form von Wärmeenergie einlagern. Die dafür nötige Technik ist simpel und schon seit Jahrzehnten verfügbar. Im Grunde handelt es sich um große Tauchsieder. In unserem Heizkraftwerk (HKW) an der Friedensbrücke haben wir sogar einen zusätzlichen Wärmespeicher mit rund drei Millionen Liter Fassungsvermögen installiert. Den nutzen wir aber nicht zur Aufnahme von umgewandeltem Ökostrom, sondern um das Heizkraftwerk stromgeführt zu fahren. Hier treiben wir die Kopplung der Sektoren Strom und Wärme gewissermaßen auf die Spitze.
Wie muss man sich diese Form der Kraft-Wärme-Kopplung vorstellen?
Mit der Öffnung des Strommarkts Ende der 1990er-Jahre drohte unser HKW unwirtschaftlich zu werden. Seinerzeit standen wir wirklich vor der Frage: Kehren wir der Fernwärme den Rücken oder investieren wir, um die neuen Marktmechanismen nutzen zu können? Wir haben uns für Letzteres entschieden, 2004 die ersten der vier mit Kohle beziehungsweise Öl befeuerten Blöcke ausgebaut und die erste Gasturbine installiert. Schon 2008 folgte die zweite Gasturbine. Das Besondere dieser beiden Anlangen: Sie lassen sich in Sekunden anfahren und auf Volllast bringen. Was in einem Markt mit immer mehr volatiler Wind- und Sonnenenergie von großem Wert ist. Und das sowohl technisch als auch wirtschaftlich betrachtet. 2013 haben wir das HKW als Anlage für Regelenergie angemeldet. Der Übertagungsnetzbetreiber steuert sie so, wie es für das Netz nötig ist. Und die dazu abgerufene Regelenergie wird so gut bezahlt, dass die Anlage wirtschaftlich arbeitet. Aber das funktioniert nur, weil wir die gleichzeitig entstehende Wärme sinnvoll nutzen, sprich an zahlreiche Kundinnen und Kunden liefern.
Was passiert, wenn wie vorgesehen 2045 keine fossilen Brennstoffe mehr verfeuert werden dürfen? Spätestens dann ist es mit dem HKW doch vorbei …
Mit der aktuellen Anlage wahrscheinlich. Aber mit der Fernwärme und dem Standort auf gar keinen Fall. Technisch wäre es sogar möglich, die Anlage geringfügig anzupassen und künftig mit sauberem Wasserstoff oder Biomethan weiterzubetreiben. Stand heute glaube ich persönlich allerdings nicht daran, dass zum geplanten Erdgas-Ausstieg CO2-neutrale Brennstoffe in ausreichender Menge verfügbar sind, um damit wirtschaftlich Fernwärme zu erzeugen. Deshalb verfolgen wir eine andere Idee.
Und wie sieht ihre Idee für die Energieerzeugung der Zukunft an dieser Stelle aus?
Das HKW ist das Herz unseres Fernwärmenetzes und liegt direkt am Main. Dieser zentrale Standort eröffnet die Möglichkeit, zwei hervorragende regenerative Energiequellen zu erschließen – das Flusswasser und den Auslauf der Kläranlage, die nur wenige Hundert Meter von unserem Gelände entfernt ist. Speziell das aufbereitete Abwasser bietet ein enormes Potenzial. Aus der Wärmeleitplanung, die wir im vergangenen Jahr erarbeitet haben, geht hervor, dass sich allein damit rund 25-30 Prozent des Wärmebedarfs in Würzburg decken lassen. Dieser Plan bildet übrigens die Basis für die Kommunale Wärmeplanung, die die Stadt Würzburg deutlich vor der gesetzten Frist vorlegen kann.
Das bedeutet aber, dass Sie wieder richtig investieren müssen, um die Anlage komplett umzubauen. Haben Sie nicht die Befürchtung, dass die Energiewende am Geld scheitert? Und andersherum gefragt: Klimaneutral bis 2045: Ist das überhaupt zu schaffen?
Natürlich gelten für all diese Pläne gewisse Vorbehalte. Übrigens nicht nur, was die Finanzierbarkeit angeht, sondern auch das nötige Fachpersonal und Material betreffend. Aber betrachten wir das Ganze doch einmal von der anderen Seite und fragen uns, welche Optionen wir haben. Mir persönlich gehen da relativ schnell die Ideen aus. Einfach wie bisher weiterzumachen, ist aus meiner Sicht definitiv keine Lösung. Und bei meinen Überlegungen dazu ist der Klimaschutz nur ein Aspekt. Was in den vergangenen Jahren auf der geopolitischen Bühne passiert ist, lässt doch nur einen vernünftigen Schluss zu: Um die Energieversorgung dauerhaft zu sichern, sollten wir uns hier in Deutschland so unabhängig wie möglich machen. Zugegeben, das ist ein weiter, wahrscheinlich auch steiniger Weg. Aber einer, auf dem wir bereits ein gutes Stück zurückgelegt haben. Gerade hier in Würzburg. Ich gehe davon aus, dass die politisch Verantwortlichen das genauso sehen und die Energiewende nicht infrage stellen. Schon allein aus wirtschaftlichen Gründen. Denn auf lange Sicht rechnet sich regenerativ erzeugte Energie. Eben weil keine teuren Brennstoffe mehr erforderlich sind.
Sie sprachen bereits kurz das Fachpersonal an. Glauben Sie, dass Sie genug junge Menschen gewinnen können, um all das, was Sie beschrieben haben, voranzutreiben?
Bislang gelingt uns das sehr gut. Und ich gehe fest davon aus, dass wir auch weiterhin erfolgreich beim Recruiting sind. Ich selbst bin immer noch jeden Tag begeistert davon, wie sich die Idee unserer Vorgänger über all die Jahre weiterentwickelt und letztlich als goldrichtig erwiesen hat. Darauf können dann auch die nächsten Generationen aufbauen. Dazu kommt, dass die WVV stets ihren eigenen Weg geht. Wir waren und sind immer bereit, Neues auszuprobieren. Und das sehr erfolgreich. Dieser Pioniergeist gehört zu unserer DNA. All das macht die WVV zu einem extrem interessanten Arbeitgeber – nicht nur für Ingenieurinnen und Ingenieure, sondern auch für junge Menschen, die sich mit dem Bau, der Wartungen und dem Betrieb unserer Netze beschäftigen. Nicht zuletzt sind die Arbeitsplätze bei der WVV zukunftssicher. Schließlich wird das Thema Energie in all seinen Facetten immer wichtiger. Und an der Energieversorgung von morgen aktiv mitzuarbeiten, ist obendrein eine sinnstiftende Tätigkeit.
Das klingt alles sehr vielversprechend. Aber auch ein wenig vage. Schließlich basieren Ihre Pläne auf relativ vielen Annahmen und Prognosen. Wie reagieren Sie, wenn alles anders kommt?
Wie bereits gesagt, gehe ich davon aus, dass Deutschland in Sachen Energiewende auf Kurs bleibt. Möglicherweise verlängern sich Fristen. Was ich angesichts der Größe des Vorhabens durchaus für sinnvoll erachte. Aber selbst wenn es zu einer Rolle rückwärts käme und Deutschland wieder auf Kohle und Gas setzen würde, geht unsere Strategie auf. Weil wir seit jeher alles ganzheitlich betrachten, sind Umweltschutz und Wirtschaftlichkeit bei uns schon immer zwei Seiten einer Medaille. Wir haben bereits 2004 den Kohleausstieg vollzogen, damit den CO2-Ausstoß dramatisch reduziert und erzeugen trotzdem kostengünstig Energie. Letztlich komme ich immer wieder auf die gleiche Formel: Unser Fernwärmenetz ist die ideale Basis für die Energieversorgung von morgen.
Was aber bedeutet, dass alle mitmachen müssen und sich ans Fernwärmenetz anschließen lassen …
Nicht alle. Aber natürlich möglichst viele. Streng genommen legt die Stadt Würzburg mit der Kommunalen Wärmeplanung ohnehin fest, welche Liegenschaft wie beheizt werden soll. Ich glaube aber, dass es diese Vorgabe gar nicht braucht. Denn es gibt zahlreiche gute Gründe, sich für Fernwärme zu entscheiden. Sie ist um ein Mehrfaches effizienter als entsprechend viele Einzelheizungen, mit ihr lassen sich regenerative Wärmequellen erschließen, die im kleinen Stil wirtschaftlich nicht darstellbar sind, und sie verlagert die Verantwortung für einzuhaltende Grenzwerte und Fristen an uns. Was angesichts geltenden Rechts sicher für etliche Kundinnen und Kunden ein zentrales Argument sein dürfte. Kurz: Ich bin zuversichtlich, dass wir in den kommenden Jahren zahlreiche Menschen von unserer Idee überzeugen können.
