Die meisten Fachleute sind sich einig: Mit Ökostrom allein wird die Energiewende nicht gelingen. Dafür ist der Energiehunger der Industrienation Deutschland einfach zu groß. CO2-neutral verbrennende Gase, die sich regenerativ erzeugen lassen, stehen deshalb hoch im Kurs. Allen voran Wasserstoff. Was die Mainfranken Netze GmbH schon heute unternimmt, um den begehrten Brennstoff in die Region zu bringen, verrät Geschäftsführer Jürgen Söbbing im Interview.
Grüner Wasserstoff gilt als Energieträger der Zukunft. Wann kommt das Gas nach Würzburg und in die Region?
Jürgen Söbbing: Um diese Frage zu beantworten, bin ich eigentlich der falsche Ansprechpartner. Wir von den Mainfranken Netzen stellen Infrastruktur bereit, um Gase in der Region zu verteilen – aktuell Erdgas und in Zukunft immer mehr Wasserstoff. Um eben diesem Auftrag auch in den nächsten Jahren gerecht zu werden, müssen wir unser Netz auf die neuen Aufgaben vorbereiten. Genau daran arbeiten wir gerade mit Hochdruck. Damit wir in der Lage sind, Wasserstoff zu transportieren, wenn er in größeren Mengen verfügbar ist.
Was heißt das genau?
Zunächst einmal vorweg: Wasserstoff in Gasleitungen ist im Grunde nichts Neues. In den 1960er-Jahren – als noch Stadtgas durch die Rohre strömte – lag der Wasserstoffanteil schon einmal bei 50 Prozent. Heute sind Beimischungen von zehn Prozent Wasserstoff in das Erdgasnetz Standard. Mehr wird potenziell problematisch. Was weniger mit den Leitungen zu tun hat als mit den Anlagen in den Haushalten und Unternehmen. Denn die kommen üblicherweise nicht mit dem dann deutlich geringeren Brennwert klar – zumindest nicht ohne Anpassungen. Aber zurück zur eigentlichen Frage: Als Netzbetreiber müssen wir unsere Infrastruktur so ertüchtigen, dass bis spätestens 2040 nur noch Wasserstoff hindurchfließen kann. Dann soll Würzburg nämlich klimaneutral sein.
Bis dahin müssen alle Kundenanlagen umgerüstet sein …
Umgerüstet ja. Aber längst nicht alle auf Wasserstoff.
Wie ist das zu verstehen?
Aktuell ist davon auszugehen, dass sich die Verfügbarkeit von Wasserstoff auf dem Markt über Jahre und Jahrzehnte entwickeln wird. Schließlich müssen weltweit entsprechende Kapazitäten aufgebaut werden. Ich gehe deshalb davon aus, dass der Aufbau der Wasserstoffversorgung ähnlich verläuft, wie wir es vor 50 Jahren beim Erdgas beobachten konnten. Riesige Leitungen erschließen zuerst große Industriezentren. Und von diesen Transportleitungen aus entstehen nach und nach Abzweige in die Fläche.
Mit dem Unterschied, dass wir nicht bei null anfangen, sondern etwas Bestehendes umbauen müssen, oder?
Das ist völlig richtig. Aber gerade hier hat sich in den vergangenen Jahren schon viel bewegt. Die Tatsache, dass Russland kein Erdgas mehr nach Deutschland liefert, hat ganze Leitungsabschnitte überflüssig gemacht. Einige davon werden jetzt nach und nach umfunktioniert und so zur Keimzelle des Rückgrats für ein deutsches Wasserstoffnetz.
Gibt es so einen für den reinen Wasserstofftransport vorgesehenen Leitungsabschnitt in der Region?
Schon bald. Bei Rimpar endet solch ein Teilstück, durch das ab 2030 Wasserstoff hier zu uns nach Mainfranken kommt.
Das ist ja schon sehr konkret.
Natürlich ist für uns wichtig, wann was passiert. Derzeit müssen wir jede Menge erledigen und in die Wege leiten, um rechtzeitig handlungsfähig zu sein. Es gilt etwa, sehr genau zu überlegen, wofür reiner, grüner Wasserstoff zum Einsatz kommen soll. Das gebietet nicht nur die noch sehr begrenzte Verfügbarkeit, sondern auch der physikalische Grundsatz, dass jede Energiewandlung mit Verlusten einhergeht.
Heißt konkret: Aus einer Kilowattstunde Ökostrom lassen sich künftig 0,9 Kilowattstunden Wasserstoff herstellen – optimistisch gerechnet. Schon aufgrund dieser einfachen Kalkulation und eines Effizienzvergleichs mit einer Wärmepumpe leuchtet ein, dass Heizen mit Wasserstoff keine wirklich gute Idee ist. Zumindest nicht als Standardlösung. Denn eine Wärmepumpe macht auch unter schlechten Bedingungen aus einer Kilowattstunde Strom mindestens zwei Kilowattstunden nutzbare Heizenergie. Genau deshalb beschäftigen wir uns gerade intensiv damit, zu ermitteln, wie viel Wasserstoff wir wann in Würzburg brauchen.
Wie muss man sich das genau vorstellen? Also, was machen Sie konkret?
Wir kommen sicher nicht umhin, die eine oder andere Annahme zu treffen. Aber im Wesentlichen erheben wir belastbare Daten. Dazu haben wir uns der Initiative H2vorOrt angeschlossen. Sie bietet uns ein standardisiertes Verfahren, mit dem wir unseren Gasnetzgebietstransformationsplan erarbeiten können. Das hilft uns enorm beim Erstellen dieses Plans.
Worum geht es dabei genau?
Der Gasnetzgebietstransformationsplan hängt eng mit der kommunalen Wärmeplanung zusammen. Wir überlegen mit vielen Expertinnen und Experten, ob und in welchem Ausmaß Wasserstoff in der Wärmeerzeugung sinnvoll ist. Tatsächlich spielt hier nicht nur die von mir beschriebene Effizienz eine Rolle, sondern auch andere Faktoren. So ist es beispielsweise denkbar, das Heizkraftwerk am Würzburger Hafen mit Wasserstoff zu betreiben und weiter auf die bewährte Kraft-Wärme-Kopplung zu setzen. Also aus dem eingesetzten Wasserstoff nicht nur Heizenergie herzustellen, sondern ihn anteilig wieder in Strom zurückzuwandeln. Zugegeben – das bedeutet zusätzliche Verluste. Aber es birgt auch Vorteile.
Welche Vorteile wären das denn?
Gase lassen sich generell viel besser speichern als Strom. Das hilft bei der Lösung eines nach wie vor bestehenden Problems der Energiewende. Tatsächlich erleichtern es nennenswerte Wasserstoffreserven im Netz und KWK-Anlagen massiv, die naturgemäß schwankende Produktion von Ökostrom aus Wind- und Sonnenkraft auszugleichen. Das wiegt die technisch bedingten Verluste schnell auf. Tatsächlich haben wir es mit einer sehr komplexen Gemengelage mit vielen Variablen zu tun. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir konsequent unserer Strategie folgen.
Wie sieht die aus?
Zuerst analysieren wir unser Netz ganz genau und legen fest, wo welche Anpassungen nötig sind. In einem zweiten Schritt gehen wir dann auf große Betriebe zu, die bislang mit Erdgas arbeiten, um deren Wasserstoffbedarf zu erfragen.
Aber woher sollen die Unternehmen wissen, wie viel Wasserstoff sie in den kommenden Jahren brauchen?
Im ersten Schritt geht erst einmal darum zu klären, ob ein Betrieb überhaupt Wasserstoff benötigt. Das ist im Grunde schnell geklärt. Denn es hängt meist von nur einem Parameter ab – der für den Produktionsprozess nötigen Temperatur. Als Faustformel würde ich Stand heute ausgeben: Bei Prozesstemperaturen um 300 Grad aufwärts ist sehr wahrscheinlich Wasserstoff künftig der Energieträger der Wahl. Bei niedrigeren Temperaturen sollte sich Strom als bessere, weil günstigere Alternative herausstellen. Letztlich müssen sich alle Unternehmen, die bislang Erdgas nutzen, mit der Thematik auseinandersetzen. Denn die Zeit von Erdgas läuft definitiv ab.
Das stellt viele Unternehmen sicher vor große Herausforderungen.
Mir ist völlig klar, dass die bevorstehende Transformation für viele ein immenser Kraftakt bedeutet. Aber im Gegenzug bietet sie jede Menge Chancen – auch wirtschaftlich. Klar, speziell am Anfang einer so tiefgreifenden Veränderung überwiegt oft die Angst. Eben weil schwer abschätzbar ist, wie es weiter geht. Aber angesichts der globalen Entwicklungen – ob klimatisch oder geopolitisch – spricht vieles dafür, die Energieversorgung auf neue Füße zu stellen. Auch oder gerade weil Deutschland nach der Energiewende nicht energieautark sein wird. Aber Wasserstoff reduziert zumindest die Abhängigkeit von vergleichsweise wenigen, bisweilen als problematisch einzustufenden Liefernationen. Schließlich lässt er sich überall herstellen, wo Ökostrom entstehen kann. Und um es klar zu sagen: Wasserstoff allein ist sicher nicht die eine Lösung. Aber ein elementarer Baustein der Energiewende. Deshalb setzen wir alles daran, künftig genauso zuverlässig Wasserstoff nach Würzburg und in die Region zu bringen, wie bislang Erdgas.
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